Platz 2 des tolino media Newcomerpreis geht dieses Jahr an Leyla J. Ağca. Ihr Buch „Freiheitsflüstern“ entführt uns in die Zeit des Rokoko. Hier kämpfen die Protagonisten*innen für Freiheit und Selbstbestimmung. Obendrauf gibt es noch eine ordentliche Portion Humor und Romantik. Wie es sich anfühlt, wenn der erste eigene Roman ausgezeichnet wird, erzählt uns die Autorin im Interview.
Was macht dein Buch zu etwas ganz Besonderem?
Freiheitsflüstern lebt von dem romantischen, exklusiven Flair des Rokokos, das nicht verstaubt, sondern in frischem Glanz erscheint. Denn mein Debüt basiert auf der Frage: Was wäre, wenn das 18. Jahrhundert durch ein feministisches Manifest aufgerüttelt wird? Durch diese kleine Änderung der Zeitgeschichte ranken ganz aktuelle Themen über die Mauern der konservativen Villa Cadieux. Und auch mit Feminismus, Antirassismus und dem Kampf für queere Rechte ist und bleibt Freiheitsflüstern eine spannende Rivals-to-Lovers-Liebesgeschichte mit witzigen Wortgefechten. Ähnlich wie Bridgerton – mit Çay.
Freiheitsflüstern ist dein Debütroman. Gab es dadurch besondere Herausforderungen beim Schreiben und bei der Veröffentlichung?
Eigentlich war es ein Experiment, das ich an Neujahr gestartet habe und zum neuen Semesterbeginn im Oktober veröffentlichen wollte. Da hatte ich mit einigem nicht gerechnet. Eine Dienstleisterin hat mir nur einmal im Monat geantwortet. Der Bau meiner Webseite hat mir unheimlich viel Spaß gemacht und mich gleichzeitig den allerletzten Nerv gekostet. Instagram war mir anfangs gar nicht geheuer, bis es immer besser lief und ich von den Nachrichten ziemlich überfordert war. Als One-Woman-Show hat es mir sehr geholfen, jeder Aufgabe in meinem Kalender eine Zeitspanne zu geben, damit sie nicht in meinem Hinterkopf herumspuken muss. Letztendlich wurde aus der Veröffentlichung Dezember. Nur beim Schreiben habe ich mich an den Plan gehalten: Die Rohfassung habe ich in anderthalb Monaten Schreibflow verfasst. Das überrascht mich immer noch.
Dein Roman beinhaltet auch viele Elemente des Rokokos. Wie lief die Recherche hierzu ab?
Ich habe oft in der Uni-Bib zwischen den Regalen gesessen und stundenlang geblättert. Auch einige YouTube-Videos zu Rokokokleidern waren sehr hilfreich. Aber am besten fand ich die Vor-Ort-Recherche. Denn Mera besucht eine wichtige Soiree in Schloss Augustusburg, das in der Nähe von Köln steht. Es ist eins der wichtigsten Bauwerke des Rokokos. Nachdem ich mich bei einem Geburtstagsausflug in das Gartenparterre und den dekadenten Treppenaufgang verliebt habe, bin ich ein Jahr später zur Recherche wiedergekommen. Nervös habe ich eine Führung mitgemacht und am Ende die Leiterin angesprochen. Zu meiner Überraschung war sie ganz begeistert und hat mir im Laufe des Schreibens dutzende Fragen beantwortet. Angefangen dabei, wo sich im Musiksaal die Musikanten befanden, bis hin zu, wie eine Dame anständig knickste.
Von queeren Figuren bis hin zur Wahrung von familiären Traditionen zeigt sich eine große Vielfalt in deinem Buch. Welchen Ratschlag würdest du Autor*innen mit auf den Weg geben, die ebenso Diversität in ihrem Werk leben und präsentieren wollen?
Erstmal würde ich mich sehr freuen, denn sich zu bemühen, hat eine verdammt große Wirkung. Da wir nur begrenzt viele Lebensrealitäten kennen, müssen wir Betroffenen oder denen, die sich aus anderen Gründen mit sensiblen Themen auskennen, aufmerksam zuhören. Das können wir, indem wir kritische Testlesende suchen und ein professionelles Sensitivity Reading in Anspruch nehmen. Beides hat nicht nur Freiheitsflüstern inklusiver gestaltet, sondern auch meinen Horizont erweitert. Bei Anfragen sollte immer darauf geachtet werden, dass sich die Person auch tatsächlich mit den Themen des Romans auskennt und bereits Interesse am Testlesen bekundet hat, sei es auf einer Webseite oder im Gespräch. Platt gesagt: Nur weil jemand Person of Color ist, heißt das nicht, dass dieser Mensch antirassistische Aufklärungsarbeit leisten möchte oder gar muss. Und erfährt man mal berechtigte Kritik: durchatmen und entschuldigen. Das passiert uns allen.
Was war deine Reaktion auf die Auszeichnung? Worüber hast du dich am meisten gefreut?
Als bei der Preisverleihung von dem goldenen Brief mein Titel vorgelesen wurde, habe ich jegliche Kontrolle über mein Gesicht verloren. Ich hatte mir ausgemalt, wie sich ein Gewinn anfühlen würde, aber das war nichts im Vergleich zu dieser Freude. Und zu dieser Dankbarkeit, besonders dafür, dass der Preis ein Buch auszeichnet, welches aus dem aktuellen Genre-Sortiment fällt. Mera ist eine Protagonistin of Color, das Jugendbuch spielt in Deutschland, es ist feministisch und queer und amüsant. Dass das Anerkennung findet, bedeutet mir unheimlich viel und zeigt vielleicht auch, dass der deutsche Buchmarkt offener, bunter wird. Außerdem bekommt Freiheitsflüstern durch den Preis aktuell viel Sichtbarkeit und mit Blick auf die Verkäufe macht es mich verdammt glücklich, dass Mera, wenn sie entdeckt wird, so sehr gemocht wird.
Nachdem du mit Platz 2 des Newcomerpreises den ersten Gipfel des Ruhmes erklommen hast, was hast du als Nächstes geplant?
Während der Veröffentlichung bin ich in ein kleines Marketing-Loch gefallen und habe erst vor Kurzem endlich zum Schreiben zurückgefunden. Als Selfpublisherin sehe ich mich auch als Unternehmerin und muss einiges gleichzeitig händeln. Für das Zeitmanagement hilft mir gerade ein spannender Tipp: Ich teile alle Aufgaben nach Aufwand und Wirkung ein und entgegen meiner Intuition ignoriere ich alles, was wenig bewirkt, auch sei es noch so einfach. Bisher habe ich mich oft in Details verloren und hatte keine Zeit mehr für meine Geschichten. Mit diesem Trick komme ich meinem Traum, vom Schreiben leben zu können, hoffentlich noch näher. Denn ich habe der Welt noch jede Menge romantische, schlagfertige und feministische Bücher zu bieten.
Warum hast du dich für tolino media entschieden?
Da ich nur einen kurzen Zeitraum hatte, war der Weg über Agenturen und Verlage sofort ausgeschlossen. Außerdem hatte ich ganz genaue Vorstellungen davon, wie das Cover, die Kapitelzierden oder vorn im Buch die Gazette aussehen sollten. Mit meinen wunderbaren Dienstleisterinnen meine Visionen umsetzen zu können, hat mir unheimlich viel Freude bereitet. Darüber hinaus war es mir wichtig, in Krisen schnell jemanden um Hilfe bitten zu können – und bei tolino media ist es, als würde das Team nur auf meine nächste panische Mail warten. Das hat mir als Debütantin einiges an Druck genommen und durch die freundlichen Erklärungen musste ich mich nicht lange mit großen Fragezeichen herumschlagen. Ebenso wollte ich, dass Freiheitsflüstern eine Chance in Buchhandlungen hat. Dafür ist wichtig, dass die Buchläden alle bestellten Exemplare kostenlos wieder zurückgeben können, wie bei Verlagsbüchern. Da tolino media das sogenannte volle Remissionsrecht gewährt, bin ich bei manchen Buchhändler*innen zwar auf Vorbehalte gegenüber dem Selfpublishing gestoßen, konnte sie aber bisher alle begeistern.
Neugierig geworden auf Platz 2? Hier geht es zum Buch:
Wer bist du, wenn du nicht du selbst sein darfst?
Nie hat Mera ihr wahres Ich verheimlicht, bis ihre Eltern aus ihrem kleinen Heim vertrieben werden sollen. Ausgerechnet sie muss nun unter falschem Namen als Dienstmagd in der Villa Cadieux arbeiten – und bestiehlt die konservative Adelsfamilie, um ihr Zuhause zu retten.
Wäre da nur nicht Célian, der Sohn des Hauses, mit seinem unverschämt charmanten Schmunzeln. Er allein weiß, wer sie wirklich ist, und verstrickt sie in seine eigenen Pläne, die sich um seine dreizehnjährige Schwester und ihre verbissenen Heiratswünsche drehen. Doch während Mera und Célian für ihre Familien kämpfen, wird ihnen klar, dass sie sich mehr ähneln, als ihnen lieb ist …
Warum das Buch für uns etwas ganz Besonderes ist, erfährst du in der Laudatio unserer Jury:
Weitere Informationen zu der Autorin Leyla J. Ağca findet ihr auf Instagram oder auf ihrer Website.
Du willst mehr über den Newcomerpreis erfahren? Schau dir unsere Blogbeiträge dazu an.
- Bücher-Guide Pride Month - 18. Juni 2024
- Choose your Book Boyfriend – Unser Bücher-Guide - 14. Februar 2024
- Platz 3 für Robin Thier und Michael Cremann – tolino media Newcomerpreis 2023 - 12. November 2023