Mitunter ist das Schreiben das Schwerste am Dasein als AutorIn. Anne Granert, selbst Autorin und Schreibcoach, weiß, wie man eine individuell passende Schreibroutine entwickelt und umsetzt.
Schreiben lernt man durchs … Schreiben. So wie beim Erlernen eines Musikinstrumentes oder einer Sprache macht erst das Üben den Meister. Je präsenter das Schreiben ist, desto eher geht es uns in Fleisch und Blut über und wir werden zudem weniger vom inneren Schweinhund geplagt.
Die gängigsten Meinungen zum Thema Schreibrituale legen ihren Schwerpunkt auf die Regelmäßigkeit. Das ergibt auch Sinn, wenn wir an die oben geschriebenen Worte denken: Regelmäßiges Üben erhöht den gelungenen Output. Es wird empfohlen, möglichst jeden Tag entweder eine gewisse Anzahl an Worten oder eine gewisse Anzahl an Minuten zu schreiben.
Ich habe für mich festgestellt, dass diese Tipps total einfach umsetzbar sind, wenn man als AutorIn selbständig arbeiten und seine Zeit frei einteilen kann, kinderlos ist und keine anderen Verpflichtungen hat, wie ein Studium oder die Schule. Was? Du bist auch nicht kinderlos? Mitten in der Ausbildung, Schule oder dem Studium? Du bist kein selbstständige/r SchriftstellerIn, die sich ihre Zeit frei einteilen kann? Dann freue ich mich mit Dir, denn mir geht es genauso.
An dieser Stelle sei herzlich eingeladen, einmal tief durchzuatmen, jeglichen Druck von Dir wegzuprusten und Dich zu öffnen für Ideen, die über tägliche Schreibminuten oder Wordcounts hinausgehen. Ich werde Dir ein paar Schreibideen und Rituale vorstellen und dabei auch die ein oder andere Autorin und den ein oder anderen Autor zu Wort kommen lassen. Du siehst, es gibt kein Richtig oder Falsch. Du bestimmst, was Du brauchst.
Und täglich grüßt die Schreibfeder. Oder doch nur einmal die Woche?
Du hast deine Gründe, warum Du schreibst. Egal, ob Du Dich auf einen Bestseller konzentrierst, Dich selbstverwirklichen möchtest oder eine Geschichte aufschreibst, weil sie Gehör finden soll: In dem Moment, in dem Du schreibst, hast Du ein bestimmtes Gefühl, das Dich durch den Schreibprozess trägt. Vielleicht verspürst Du etwas Erhabenes, oder den Flow, von dem so viele sprechen. Vielleicht hast Du Gänsehaut oder Bauchkribbeln, die Zeit vergeht wie im Flug und manchmal vergisst Du sogar das Essen.
Es sei denn, Du bist irgendwie blockiert. Um dem zu begegnen, widme ich mich hier Schreibritualen, denn sie können Dir helfen, in den Schreibprozess zu finden, der zu Dir passt.
Du und Deine Schreibwelt
Stell Dir vor, Du sitzt am Rechner und bist gerade im Schreibflow. Oder liegt vor Dir ein Notizbuch und Du lässt den Stift über das Papier tanzen? Hast Du Musik an? Welche? Oder magst Du es eher still um Dich herum? Ist der Raum, in dem Du Dich befindest, immer der gleiche? Oder bist Du gerne flexibel an unterschiedlichen Orten unterwegs? Was riechst Du? Hast Du Kaffeeduft in der Nase? Welche Tageszeit ist es? Fällt es Dir leichter, abends zu schreiben oder morgens?
Konzentriere Dich lieber auf das, was Du brauchst und schon hast, als auf das, was andere SchriftstellerInnen als Rituale nutzen und was vielleicht gar nicht zu Dir passt. Wenn es Dich unter Druck setzt, jeden Tag zu schreiben, dann lass es. Wenn Du lieber Minuten statt Wörtern zählst, auch gut. Du schreibst schon und das ist der eigentliche Erfolg. Wann schreibst Du besonders gerne? Konzentriere Dich auf Deine Schreibwelt und baue das aus, was schon in Dir steckt. Hier kann es Dir helfen, Deine Schreibwelt auf Papier zu skizzieren (und schon schreibst Du noch mehr – großartig). Nimm Dir ein leeres Blatt oder dein Notizbuch und beantworte für Dich die obigen Fragen. Zum Schluss überlege, was Du tun kannst, um Deine Schreibwelt noch mehr zu etablieren. Auch hier ist es total hilfreich, wenn Du Dir Deine Schreibwelt anschließend so platzierst, dass Du sie regelmäßig betrachten kannst. Vielleicht arbeitest Du ja auch schon lange mit sogenannten Visionboards, auf denen Deine Schreibwelt eine perfekte Ergänzung wäre.
„Du musst dich erst leeren, um dich vom Universum füllen zu lassen“
Klingt ganz schön spirituell, oder? Pragmatisch gesehen bedeutet das, dass es hilfreich sein kann, die eigenen Gedanken in Form einer Morgenseite oder einem Schreibtagebuch zu ordnen, um Platz für das Schreiben zu schaffen. Als Schreibcoach mache ich diese Übungen regelmäßig zu Beginn meiner Schreib-Workshops. Die ursprüngliche und aus den USA stammende Form sieht vor, dass Du morgens vor Tagesbeginn für eine Stunde schreibst, was Dir auf der Seele brennt. So bannst Du überflüssige Wörter auf Papier und kannst Dich mit klarem Kopf Deiner Geschichte widmen.
Eine Stunde – recht knackig und schon nicht mehr ganz so tauglich für Familien, SchriftstellerInnen im Schichtdienst oder mit anderen Verpflichtungen. Also warum nicht kürzen? In meinen Schreibworkshops und auch Zuhause stelle ich einen Wecker auf sieben oder zehn Minuten, je nachdem, wie voll mein Kopf ist. Dann sind auch zwei Seiten mit Gedanken gefüllt und ich kann mit leerem Kopf in meinen Tag starten. Und was macht man mit den Morgenseiten? Sarah Desai hat mich in ihrem Podcast auf die Idee gebracht, die Seiten zu verbrennen. Schreibpoesie nennt man das und es ist auch eine Form von Schreibtherapie. Die Autorinnen Ines Ziertmann und Marina Knorky nutzen diese Form der Schreibpoesie regelmäßig, wobei Ines ihre Gedanken anschließend sogar im Boden vergräbt. Auch eine tolle Idee.
Jeden Tag 1000 Wörter …
… ist ein klassisches Ritual, das viele SchriftstellerInnen nutzen. Dazu gibt es noch viele verschiedene Habit- oder Wordtracker im Netz, die dieses Vorhaben grafisch unterstützen. Ich habe eine Zeit lang den von Benjamin Spang benutzt. Als ich irgendwann alleinerziehend wurde, war der Tracker für mich nicht mehr umsetzbar. Meine gute Freundin und Kollegin Ruth Frobeen gab mir den Tipp, doch einfach nur einen Wordcount pro Monat festzulegen, zum Beispiel 10.000 Wörter im Februar. Auf meiner Instagramseite seht ihr, dass ich damit gut arbeiten kann. So komme ich meinem Ziel von 75.000 Wörtern für den dritten Band meiner Urban-Fantasy-Trilogie Die Talentierten immer näher.
(Kreativ-) Raum und Zeit
Die in meinen Schreibworkshops am meisten genannte Antwort auf die Frage, wo am liebsten geschrieben wird, lautet wie folgt: Ach egal, ich kann überall schreiben. Bravo, das finde ich persönlich sehr erstrebenswert. In den Gesprächen stellt sich dann meist heraus, dass dieses überall doch bestimmte immer wiederkehrende Parameter aufweist, die für den Schreibprozess durchaus wichtig sind. So ist es doch das immer gleiche Schreibprogramm, der gleiche Laptop, die gleiche Playlist oder das gleiche Café, in dem geschrieben wird. Und das sogar oft mit den immer wiederkehrenden Bewegungen: Zuerst wird der Laptop geöffnet, dann das Schreibprogramm und fast zeitgleich die eine bestimmte Playlist. Steigt der Kaffeeduft dann noch in die Nase, läuft die Handlung des eigenen Buches schon vor dem inneren Auge ab.
Auch diese vermeintlich kleinen Parameter können wichtig sein, um in den Schreibprozess zu finden. Überlege ganz genau, welche Du hast und brauchst, um in den Flow zu kommen. Soll ich Dir meine verraten? Ich gehöre zur Generation Vanille-Kerzen von Ikea. Noch bevor ich den Laptop öffne und mein Schreibprogramm starte, zünde ich zwei (ja, immer zwei) kleine Vanille-Teelichter an, starte meine Playlist (sie heißt Schriftstellerin) und koche mir einen Kaffee oder Cappuccino. Dabei ist der Milchschaum das wichtigste. Eigentlich bescheuert, oder. Doch schon während ich den Milchschaum in den Becher gieße, sprechen meine Protagonisten zu mir und meine Finger tanzen später über die Tatstatur.
Generell kann es helfen, den Schreibplatz immer einsatzbereit zu halten. Wenn Du erst wieder Raum schaffen musst für deinen Laptop, deine Notizen, deinen Kaffeebecher, verstreicht wichtige Zeit. Es kann sogar vorkommen, dass Du das Schreiben vergisst, weil Du es Zuhause einfach nicht verortest. Aus den Augen, aus dem Sinn.
Was der Haushalt mit Tomaten zu tun hat
Ein Hoch auf das Unterbewusstsein. Dein Plot stellt Dich vor ein Problem? Da ist ein Zauber, der noch nicht durchdacht ist? Eine Liebesszene, die noch nicht so richtig rund wirkt? Ein Mord, der von einem Bernhardiner aufgedeckt werden könnte? Tipp: Mach den Haushalt, schraube an Deinem Auto herum, schreibe einen Brief oder öffne mal alle Fenster. Was auch immer Du automatisiert tust. Denn sobald Dein Kopf auf Autopilot umstellt, kann Dein Unterbewusstsein am Problem arbeiten und Du wirst schneller eine Lösung erhalten, als wenn Du stundenlang brütest.
Ich persönlich nutze dafür in jeder Schreibsession die Pomodoro-Technik: Unterteile mit einem Timer Deine Schreibzeit in 25-Minuten-Abschnitte. Nach den ersten 25 Minuten machst Du eine kurze Pause, die sich im Verlauf verlängert. Da es „nur“ um 25 Minuten Schreibzeit geht, ist der Schweinehund nicht mehr so groß, um überhaupt zu beginnen. Hey, komm, 25 Minuten schafft doch jede/r SchriftstellerIn. Du wirst oft feststellen, dass Du danach so in Fahrt bist, dass Du entweder einfach weiterschreibst oder weitere 25-minütigen Abschnitte hinzufügst. Mit dieser Technik habe ich überwiegend an meinem Kinderbuch Ida sucht das Glück im Sommer gearbeitet, das unter meinem Pseudonym Lila Anders im Kilian Andersen Verlag erschienen ist.
Deine kreative Ader
Du merkst, es gibt viele verschiedene Ideen, wie Du Deine eigenen Schreibrituale für Dich finden kannst. Hier war noch nichts für Dich dabei? Vielleicht ist der Kreativtypentest von Roberta Bergmann (Der kreative Flow) für Dich genau das Richtige, um mehr über Deine kreative Ader zu erfahren. Neben tollen Podcastfolgen rund um das Thema Kreativität findest Du dort auch einen Kreativtypentest (unter Freebies), der sich lohnt. Bist Du eher künstlerisch und rebellisch oder pragmatisch veranlagt? Die Antwort kann Dir helfen, Deine eigenen Schreibrituale für Dich zu finden und zu festigen.
Und sonst so? Ja, gut, danke.
Schreibrituale können so viel mehr sein, als das tägliche Schreiben von 1000 Wörtern. Tausch Dich mit anderen AutorInnen aus und lass Dich inspirieren. Manchmal reicht es schon, in den Orbit zu brüllen, dass man schreiben möchte und schon antwortet jemand und gibt Dir eine Deadline.
Oh, meine himmelblaue Eieruhr klingelt. Zeit für den nächsten Kaffee oder die Wäsche oder die Spülmaschine. Moment, da fällt mir doch gleich der nächste Reim für mein zweites Kinderbuch ein…
Viel Liebe
Deine Anne
Anne Granert, geboren 1983 in Nordhorn, hat ein Lehramtsstudium der Sonderpädagogik absolviert. Während des Studiums arbeitete sie nebenbei für eine Airline, die Universität Hamburg und im Drob Inn am Hamburger Hauptbahnhof. Zu ihren Hobbys zählt sie lesen, schreiben, kochen, Lippenstift und in ferne Länder reisen. Nun erfüllt sie sich ihren größten Traum und bringt in ihrer Freizeit phantastische Welten zu Papier. Mehr über sie erfährst Du unter annegranert.de
Dieser Blogbeitrag war ursprünglich als Inforunde auf der Leipziger Buchmesse 2020 geplant. Nach deren Absage ist er nun Bestandteil unser #OnlineLBM unter dem Motto #digitalstattviral
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