Ein Leben, Schreiben und Büchervermarkten ohne Soziale Medien kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Seit einigen Jahren gibt es Mastodon, ein Netzwerk, das so manches anders macht, als die bekannten Platzhirsche, und literatur.social als Plattform für die Literatur-Community.
Der Abschied von Facebook
Das Online-Leben der meisten Menschen spielt sich heute auf Facebook oder Instagram ab und für viele ist das Facebook-Universum mit der Haupt-Plattform facebook.com, Instagram und WhatsApp »das Internet«. Wieso also sollte man sich außerhalb von Facebook & Co im Netz umsehen?
Zum Einen, weil Facebook seine Blütezeit hinter sich hat. Da sind die stagnierenden oder auch sinkenden Nutzungszahlen – je nachdem, welcher Statistik man glauben möchte – und unter den verbleibenden Nutzer*innen finden sich immer weniger junge Menschen; diese nutzen Snapchat und TikTok oder chatten während des Unterrichts über Google Docs. Zum anderen häufen sich die faulen Früchte, die Datenschutzskandale; beinahe wöchentlich kommt ein neuer hinzu. Obendrein gibt es eine Menge User*innen, die gern Facebook den Rücken kehren möchten, aber doch denken, bleiben zu müssen, weil z.B. die Austauschgruppe ihres teuer gekauften Onlinekurses zur Weiterbildung eine (geschlossene) FB-Gruppe ist. Erzwungenes Interesse ist allerdings auf vielen Ebenen mehr als fragwürdig.
Vor 10 Jahren konnten sich Menschen nicht vorstellen, dass das Internet jemals ohne Myspace existieren würde. Und heute? Ja, genau. Mit einer Facebook-Autor*innenseite als einzigem Internetauftritt kann man schnell dumm dastehen, wenn Facebook die Seite sperrt oder abschaltet weil jemand sie beispielsweise aus subjektiven Gründen gemeldet hat; denn diese liegt nicht in der eigenen Hand, sondern bei einem Großkonzern in den USA. Es kann auch ganz Facebook abgeschaltet werden, was angesichts politischer Einflussnahme – Cambridge Analytica, Trump, Brexit – wir erinnern uns …, also demokratiegefährdenden Verhaltens sowie der nicht abreißenden Kette von Datenpannen ein durchaus plausibles Szenario ist.
Es gibt auch andere Möglichkeiten
Die gute Nachricht: Es gibt Alternativen. Ein Online-Leben außerhalb der großen, kommerziellen Plattformen wie Facebook ist möglich und macht sogar Spaß. Twitter beispielsweise ist ethisch und als zentralisiertes System nur wenig besser als Facebook, aber große Teile der Zielgruppe könnten bereits dort sein – beim mehrstündigen FB-Ausfall im März 2019 hat Twitter binnen kurzer Zeit drei Millionen (!) neue Nutzer bekommen.
Viele kennen und haben sicher Autor*innenprofile auf LovelyBooks, Amazon und Goodreads, die für Vielleser*innen ein beliebter Anlaufpunkt sind. Auch hier lohnt es sich, den Kontakt zu den Leser*innen und Blogger*innen zu pflegen und gegebenenfalls die eigene Profilseite auf den aktuellsten Stand zu bringen. Auch der eigene Blog sollte gut gepflegt oder jetzt wirklich mal reanimiert werden. Gerade die Kanäle, die in der eigenen Hand liegen wie die eigene Website oder der selbstgehostete Blog sind Gold wert.
Fediverse – das „neue“ Social Media
Und dann gibt es noch den neuen Star am Social-Media-Himmel: das Fediverse. Ein Teil davon ist das oben genannte Mastodon. Ganz neu ist das »federated universe« zwar nicht, aber die letzten drei Jahre hat es im Schatten der großen Zentralplattformen verbracht und ist dabei stetig gewachsen. Das Prinzip ist bewährt. Es funktioniert ähnlich wie eMail, die heutzutage fast nicht mehr erfunden werden könnte inmitten zentralisierter Plattformen, welche die Nutzer*innen an sich binden und aktiv gegen unabhängige und verteilte Kommunikation arbeiten. Zum Glück ist die eMail fast 50 Jahre alt, wir kennen sie alle und vielleicht ist es für uns heute einfach so normal, dass wir den Kern der Sache gar nicht mehr wahrnehmen: es ist egal, bei welchem Anbieter man einen eMail-Account hat, die Mailserver können alle miteinander kommunizieren. Der Name des Anbieters wird zum Teil des Accountnamens (xy@anbieter.net) und alle Server wissen, wohin sie die Nachrichten schicken müssen. Genau so ist es auch im Fediverse. Man eröffnet einen Account beispielsweise auf dem Mastodon-Server »literatur.social« und der Name des Servers (auch »Instanz« genannt) wird Teil des Accountnamens: z.B. @viennawriter@literatur.social. Ab sofort kann man mit allen anderen Accounts im Fediverse kommunizieren.
Im Fediverse gibt es verschiedene Netzwerke oder Plattformen. Eine davon ist Mastodon, was eine Alternative zu Twitter ist, wobei hier längere Posts möglich sind (auf Mastodon »Toots« genannt). Es gibt auch Pixelfed als Alternative zu Instagram (das auch zu Facebook gehört) und Funkwhale als föderierte Alternative zu Soundcloud. Außerdem auch Friendica (mehr wie Facebook), Plume und write.as als Blogging-Plattformen und viele weitere. Und das sowohl Ungewohnte wie Geniale ist, dass man mit z.B. einem Mastodon-Account auch Accounts auf Friendica, Pixelfed, Plume, etc. folgen und deren Posts in der eigenen Timeline lesen, liken, re-tooten (eigentlich »boosten«) und kommentieren kann.
Das richtige Publikum ansprechen
Ein weiterer Grund, warum es sich lohnt, sich ins Fediverse hineinzulesen, ist, dass man dort bereits die tendenziell technikaffine Zielgruppe vorfindet, die häufig auch Patreon- bzw. Steady-Unterstützer*innen sind. Also genau die, die man als Selfpublisher*in erreichen möchte. Aber das Fediverse erlangt mittlerweile auch über die Technikfreund*innen hinaus zunehmend an Reichweite, dank vieler Universitäten, Bibliotheken und Städte, die eigene Mastodon-Instanzen anbieten.
Disclaimer: Das Fediverse ist durch seine föderierte Struktur nicht für Onlinemarketing geschaffen. Oft ist dies auch auf den einzelnen Instanzen explizit nicht gewünscht. Aber Contentmarketing, Imagebildung und Leser*innenbindung sind das, was man hier betreiben kann – natürlich neben dem Austausch mit anderen Schreibenden, Lesenden und Büchermenschen. So gibt es beispielsweise auch eine Mastodon-Instanz für Bibliotheksmenschen, aber auch welche für Motorradfahrer*innen, für Journalist*innen, Jurist*innen, …
Darüber hinaus gibt es im Fediverse auch Bots & News-Accounts, die RSS-Feeds (ja, die gibt es auch noch) ins Fediverse posten. So erwarten einen beim Eintritt ins Fediverse viele der sonst auch gelesenen Nachrichtenkanäle bereits auch schon dort.
Fazit: Es lohnt sich immer, etwas Neues auszuprobieren. Aber vor allem sollte man dort hingehen und präsent sein, wo man sich wohlfühlt, denn Menschen merken genau, ob man in seinem/ihrem Element ist oder ob die Konversation hölzern und unbegeistert wirkt, weil beispielsweise eine Marketingabteilung oder ein Verlag eine Teilnahme an einem Sozialen Netzwerk vorschreibt. Wer neugierig ist oder schon seit Längerem von Facebook weg will, hat im Fediverse, zum Beispiel auf literatur.social, eine gute Alternative dazu.
literatur.social als Plattform für die Literatur-Community
literatur.social wird betrieben von Klaudia Zotzmann-Koch und ihrem Freund. Der Server selbst (»das Blech«) steht in Wien in einem Community-Serverraum. Die Registrierung ist (wie bei allen der Autorin bekannten Mastodon Instanzen) frei und gratis. Je mehr Büchermenschen auf literatur.social aktiv sind, desto mehr Literatur-relevante Inhalte werden in der lokalen Zeitleiste der Instanz angezeigt. In der persönlichen Zeitleiste sieht man die Posts der Accounts, denen man selbst folgt und in der globalen Zeitleiste die Posts aller Mastodon-Instanzen, mit denen literatur.social kommuniziert. Instanzen von Alt-Right-Gruppen beispielsweise wurden (wie auf vielen Mastodon-Servern) geblockt, deren Posts werden nicht in der globalen Zeitleiste angezeigt. Das ist Absicht und gewollt.
Mit Accounts auf anderen Plattformen ist es natürlich jederzeit möglich, den literatur.social-Accounts zu folgen. Die Fans finden Euch also in jedem Fall. Und Ihr findet weitere Mastodon-Instanzen unter joinmastodon.org.
Die Herde zieht wie immer weiter. Von studiVZ zu Myspace zu Facebook zu Instagram ins Fediverse. Jetzt schon eine Präsenz und eine Community aufzubauen und bereits dort zu sein, wenn die Herde ankommt, ist neben deutlich besseren Datenschutzes, einem Server in der EU und echten sozialen Austauschs auf Mastodon ein guter Anreiz.
Klaudia Zotzmann-Koch ist Autorin, Podcasterin und Datenschutzexpertin. Sie stammt aus dem niedersächsischen Vorharz und ist aktuell Wahlwienerin. Im Netz ist sie zu finden unter:
Website: zotzmann-koch.com
Blog: viennawriter.net
Twitter: @kzotzmann
Mastodon: @viennawriter@literatur.social
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Danke für den wirklich hervorragenden Artikel. Ich werde die Anregungen, die in ihm enthalten sind, sofort umsetzen. Was mich immer nervt – nicht nur hier – ist das Sternchenschreiben. Es erschwert das Lesen ungemein. Ein User muss keinen Penis in der Hose haben, ebenso wenig wie ein Schriftsteller. Es sei denn, man will auf das Geschlecht gezielt abheben. Aber hier schwimme ich wohl gegen den Strom, weil ich für Emanzipation ohne Wenn und Aber bin – auch sprachlich.