Horus Odenthal begann als Comicautor, bevor er sich dem Roman zuwendete. Wir haben ihn gefragt, wie sich die beiden Erzählarten voneinander unterscheiden, aber auch ergänzen. Außerdem gibt uns Horus die Ratschläge, die er gerne am Anfang seiner Karriere gehört hätte.
Deine Karriere als Autor hast du im Comic-Bereich begonnen, bevor du dich den Romanen zugewandt hast. Was sind für dich die größten Unterschiede beider Medien?
Drei Dinge.
Erstens: Es mag sich wie eine Binsenweisheit anhören, aber Romane sind nicht so visuell wie Comics. Man kann zwar Beschreibungen durch Worte mit Bildern gleichsetzen, aber im Roman erzählen wir eher bildhaft, aber nicht mit Bildern selbst. Der Leser ist der Bilder erzeugende Teil, den wir geschickt mit Signalen stimulieren müssen.
Zweitens: Das Erzählen im Roman ist fließender als im Comic. Damit meine ich, dass es nicht so sehr aus abgegrenzten Elementen zusammengesetzt ist wie im Comic. Der Comic besteht aus Einzelbildern, die miteinander montiert werden müssen, deren Fluss bestimmt werden muss, um ihn wiederum mit Sprechblasen, Denkblasen und Textkästen zu montieren. Und das möglichst so, dass es für den Leser nicht konstruiert, sondern fließend erscheint. Das Erzählen ist ein einziges Fließen, das nicht so sehr auf Einzelelemente ausgelegt ist. Oder von uns nicht so empfunden wird. Denn natürlich gibt es Sätze, Abschnitte, Kapitel. Wenn man die aber so aufsplittert – und sei es auch nur im Kopf – wird man dem Erzählen mit Worten, dem hypnotischen Fließen von Worten, nicht gerecht. Vielleicht liegt es auch nur daran, dass das Erzählen mit Worten uns von der Natur her vertrauter ist als das Erzählen im Comic.
Es ist ein Paradox: Eben dass Erzählen so natürlich ist, verleitet manche vielleicht dazu, die Worte einfach fließen zu lassen. Wenn man aber nicht ab und zu – gerade am Anfang – seine Tätigkeit wie beim Comic in Einzelbilder, also in Sätze, Absätze und Sequenzen, Beschreibungsbilder und Tätigkeitsbilder herunterbricht, kann furchtbares, verschwommenes, unpointiertes Geschwafel dabei herauskommen. Man muss das so lange herunterbrechen, bis man es verinnerlicht hat. Bis man „seine Stimme gefunden hat“.
Drittens: das Verhältnis zwischen Produktions- und Konsumzeit. Um die gleiche Lesezeit beim Comic – und auch eine ähnliche Handlung – zu erzeugen, braucht man als Künstler wesentlich länger. Damit haben wir auch gleich einen der Gründe, warum ich vom Comic zum Roman gewechselt bin. Ich hatte zu viele Ideen, die mich als Comic zu viel Zeit gekostet hätten.
Deine Comics haben auch deine Ninragon-Reihe inspiriert. Welche Elemente konntest du in deine Romane übernehmen und wie bist du dabei vorgegangen?
Als ich am ersten NINRAGON-Roman rumbastelte, kam mir der Gedankenblitz, einige der Charaktere aus meinem Comic „Schattenreich“ zu übernehmen, quasi in einer sehr frühen Phase ihrer Geschichte – lange bevor sie zu dem wurden, was sie im Comic sind.
Nach und nach wurde die Geschichte des Comics für mich immer wichtiger, so dass ich schließlich gesagt habe: „Ja, das ist Teil der Geschichte des Ninragon. So geht sie zu Ende.“
Je mehr ich das Universum von NINRAGON erweiterte, umso mehr entfernte sich der ursprüngliche Comic vom Kanon. Irgendwann hatte ich das dringende Bedürfnis, diese Geschichte erstens in einem Roman und zweitens so zu erzählen, dass sie sich nahtlos in das entstehende Romanuniversum einfügt. Daraus wurden die „Verlorenen Hierarchien“, die sowohl in der NINRAGON-Serie als auch gesammelt zu dicken Romanen erscheinen, deren erster „Das Rad der Welten“ war. Vieles habe ich verändert, was im Comic funktionierte, im Roman aber nicht, und das hat der Geschichte sehr gut getan.
Es gibt zwei weitere große Unterschiede zum Comic: Wo der Comic endet bzw. das Ende nur ganz kurz behandelt wird, fängt der Roman erst richtig an. Außerdem fassen die Romane noch viel stärker alle Fäden eines ganzen komplexen Universums zusammen, spannen den Rahmen größer und umfassender – kosmischer – auf.
Mit NINRAGON hast du eine komplexe Fantasywelt erschaffen, die den Leser durch verschiedene Genres führt. Was war dir beim Erschaffen dieser Welt besonders wichtig?
Dass sie bei aller Phantastik realistisch ist. Dass Handlungen nachvollziehbar sind. Dass der Überbau – oder Unterbau – in sich stimmig und auf irgendeine Art „richtig“ ist, nicht beliebig oder „nur ausgedacht“. Es sollte deshalb eine einzige Fantasy-Welt sein, nicht eine neue mit immer neuen „magischen Systemen“, weil ich den Eindruck hatte, dass dieses reihenweise Nebeneinander und die Vielzahl die Welt und ihre Mechanik und Metaphysik irgendwie entwertet.
Mir war auch wichtig, dass in der Welt sowohl Geschichten erzählt werden können, die man eher der Fantasy zurechnen würde, aber auch solche, die man eher zur Science Fiction zählt. Es kommt eben immer nur auf die Sichtweise und die Terminologie des Betrachters an. Und manchmal prallen die auch aufeinander, wenn zum Beispiel in den „Verlorenen Hierarchien“ Bewohner unserer modernen Welt auf die einer magisch funktionierenden stoßen. Da kann man die Dinge vollkommen anders sehen und auch schon einmal aneinander vorbei reden.
Deine Veranstaltungen sind immer auch multimedial, z.B. wenn du selbstgeschriebene Songs zu deinen Büchern singst. Welche Tipps hast du für AutorInnen, deren erste Veranstaltungen noch bevorstehen?
Brennt! Seid viel intensiver, als ihr es jemals sonst seid. Das ist eure Chance dazu. Auch etwas davon mitzunehmen. Zuallererst für euch. Dann wird es auch für Zuschauer und Zuhörer so sein. Schämt euch nicht. Darum geht’s nicht nur hierbei, sondern auch allgemein beim Schreiben. Besser einer lacht, als ihr verpasst eure Chance. Lesungen und Schreiben sind schließlich Stufen und Prozesse der Weiterentwicklung. Wer das nicht abkann – ihr, wie du wirklich seid –, gehört nicht zu eurem Zielpublikum. Der mag auch nicht, wie ihr schreibt. Denn dann seid ihr nackt – jedenfalls, wenn ihr es richtig macht.
Welchen Ratschlag hättest du zu Beginn deiner Karriere gebrauchen können?
Ganz am Anfang meiner Karriere? Als ich noch Comics gemacht habe? Okay. Wenn man das als Ausgangspunkt nimmt, dann habe ich Folgendes mit der Zeit lernen müssen:
Wartet nicht auf einen Verlag oder Agenten oder irgendetwas, was euch eine Chance oder Legitimation gibt. Wenn ihr glaubt, was ihr macht, ist gut, und ihr wisst, was ihr machen wollt: Legt los! Schreibt nicht für Chancen, sondern für euch und eure Leser. Schreibt nicht auf eine bestimmte Art von Geschichten oder Genres hin, die – so raunt man in der Buchwelt – gerade angesagt sind. (Vor Harry Potter waren Bücher über Zauberinternate aber sowas von nicht angesagt.). Schreibt keine Exposés, schreibt nichts, was andere – außer Leser – überzeugen und beeindrucken soll. Schreibt vor dem eigentlichen Schreiben des Buches das, was ihr dazu braucht. Sonst nichts. Das geht alles von eurer Schreibzeit ab. Verschwendet eure Schreibzeit nicht in der Sklaverei einer Mühle, die euch vielleicht eine Chance geben könnte, vielleicht auch nicht. Schreibt nicht, was Lektoren gefallen könnte, schielt nicht auf Chancen, schielt nicht nach Genres, durch die ihr vielleicht Gnade finden könntet, veröffentlicht zu werden, sondern seht in euch hinein und erkennt den Leser in euch.
Dann legt los! Jetzt sofort. So früh ihr könnt und so gut und schnell ihr könnt.
Was ihr dazu braucht und jetzt noch nicht könnt, werdet ihr noch lernen, oder ihr werdet Leute finden, die es können.
Ach, noch ein Ratschlag. Ganz wichtig, sogar noch wichtiger als der erste. Bei dem wünsche ich mir wirklich, das hätte mir am Anfang jemand gesagt: Überarbeitet nicht! Macht keine Neufassungen! Glaubt nicht diesen bescheuerten Mythos. Endlose Überarbeitungen machen ein Buch nicht besser – sie hindern euch daran, ein weiteres Buch zu schreiben, das besser ist. Überarbeitungen hindern euch daran, bessere Schriftsteller zu werden. Denn dazu, etwas gut zu können und zu machen, gehört Geläufigkeit. Nur so findet ihr eine Stimme. Überarbeiten ist Stammeln. Setzt euch eine feste, vernünftige Anzahl von Durchgängen. Mit der Zeit werdet ihr wissen, wie viele das bei eurer Arbeitsweise sind. Bei mir sind es drei plus Korrekturen/Fahnen. Erstfassung: Hier wird schon gut formuliert, die Geschichte erzählt. Zweitfassung: Man hat den Überblick und sieht, wo etwas geändert werden müsste, um das Ganze rund zu machen. Drittfassung: Der Lektor weist euch auf Dinge hin, an denen ihr die Nase zu nah dran hattet und fragt euch, ob ihr das Buch vielleicht hier und da noch ein Stück besser machen möchtet. Die beste vierte Fassung ist das nächste Buch. Punkt. Wollt ihr Schriftsteller oder Bastler sein? Nur durch Geläufigkeit wird man ein guter Erzähler und Schriftsteller.
Warum hast du dich für tolino media entschieden?
Weil mir dieser Gegenentwurf einer Plattform für freie Autoren ungeheuer gefällt, die nicht die Errungenschaften der Vergangenheit gleich mit dem Bade ausschüttet. Die an die Stelle eines unbetreuten Haifischbeckens einen kurativen Ansatz stellt, der an die ursprüngliche Aufgabe der Verlage anknüpft, bevor da irgendetwas schief gelaufen ist, bevor kleine Verlage von großen Konzernen geschluckt wurden und an die Stelle der Leidenschaft für Bücher etwas anderes trat. Tolino media tritt für mich dieses Erbe an und bringt etwas von der Leidenschaft für Bücher auf die Seite jener zurück, die immer unerlässliche Partner und Vermittler der Autoren waren. Darum bin ich gern dabei, und das unterstütze ich gerne.
Neugierig? Dann lest hier mehr über die NINRAGON-Reihe von Horus Odenthal.
Das Interview mit unserem letzten Autor des Monats verpasst? Lese das Interview, mit Inka Loreen Minden unsere Autorin des Monats Juni.
- Die Gewinnertitel – tolino media Newcomerpreis 2022 - 19. September 2022
- Shortlist 2022 – tolino media Newcomerpreis - 7. September 2022
- Longlist 2022 – tolino media Newcomerpreis - 20. Juli 2022
Vielen Dank für dieses informative und spannende Interview eines geschätzten und sehr talentierten Kollegen. NINRAGON ist definitiv eine Empfehlung.
Spannend zu lesen, Danke für das Interview. Ich werde es den Jugendlichen in meinem Schreibkurs (Begabtenförderung an der Schule) zum Lesen geben. Sie schauen mich immer noch irritiert an, wenn ich sage: „Schreibt es erstmal fertig! Hört auf, immer wieder Sätze zu überarbeiten, bevor die Geschichte überhaupt steht!“
Aber da spricht wahrscheinlich die jahrelange Praxis des Schreibens aus mir. 🙂