eBook-Piraterie ist ein Problem, das vor allem Selfpublisher stark betrifft und einige AutorInnen bereits veranlasste, sich vom Schreiben abzuwenden. Die Meinungen gehen stark auseinander und es ist schwer, an Zahlen und Fakten zu gelangen. Auf der future!publish 2017 hielt Thomas Pyczak einen Vortrag zu der dunklen Seite der eBook-Welt. Wir haben mit dem ehemaligen CEO von CHIP Communications und CHIP Digital und Selfpublisher gesprochen, um einen aktuellen Überblick zu verschaffen und Lösungsvorschläge zu diskutieren.
1 I Wie sieht die aktuelle Situation der eBook-Piraterie in Deutschland aus?
Das kann man so pauschal nicht sagen, da es nur Hochrechnungen gibt. Wenn wir die Welt der Piraten betreten, ist das keine so zugängliche Welt. Ich kann nicht in eine Kneipe gehen und die Piraten am Tresen fragen, wie es gerade so läuft – also vorab: objektive Zahlen gibt es nicht.
Was ich sagen kann: Wer ein Buch illegal laden möchte, kann dies relativ einfach tun. Mit geringem Aufwand findet ein Laie einen Bestseller in weniger als zehn Minuten auf gewissen Portalen. Es gibt zwei Arten von Portalen, jene die eBooks listen und jene, wo man sie downloaden kann.
Der Vorteil ist, dass man das zu Cent-Preisen oder kostenfrei geladene eBook auch tatsächlich besitzt und auf der Festplatte als Datei hat.
Was ich allerdings anhand einer Modellkonstruktion versucht habe zu berechnen, ist der wirtschaftliche Schaden – als Basis diente der Gutenberg-Report und eine sehr bescheidene Annahme. Mein Ergebnis: Aufgrund der Piraterie entgehen dem eBook-Markt rund 40 Millionen Euro im Jahr 2015, das sind rund 10% des Gesamtumsatzes mit E-Books. Man muss dazu sagen: Dieser Markt ist in Deutschland noch sehr klein, das sind im Jahr 2015 4,5% des Gesamtumsatzes – das ist ja international verglichen nichts: Die US-amerikanische Studie „Inside the Mind of a Book Pirate“ (www.digimarc.com/resources/ebook-piracy-study) von Nielsen rechnete 300 Millionen Dollar Verlust hoch. In China und Russland ist die Situation sogar, dass der Schwarzmarkt dominiert.
2 I Wie geht es weiter? Wie wird sich das Thema entwickeln?
Ich gehe davon aus, dass sich der Gesamtumsatz des Buchmarkt in den nächsten zehn Jahren nicht wesentlich verändern wird, es bleibt bei den ca. 10 Milliarden Euro Umsatz pro Jahr. Aber: die Verteilung wird sich verändern. Momentan liegt der Anteil an digitalen Medien bei ca. 4,5%, er wird in zehn Jahren bei ca. 50% sein. Und dann ist die Rechnung ganz einfach: Wenn ich nichts gegen die Piraterie mache, habe ich den zehnfachen Umsatzverlust von 400 Millionen Euro.
3 I Was kann man tun, um illegale Downloader wieder zu legalen Käufern zu machen?
Dazu nochmal die Nielsen-Studie, die fragt: „Wenn XY passieren würde, würde Dich das bewegen, mit der Piraterie aufzuhören?“ Die Gründe auf Platz eins und zwei: Ich würde mit der Piraterie aufhören, wenn mein Rechner durch Viren etc. beschädigt oder ich erwischt würde. Relativ weit hinten kam der Grund, wenn eBooks weniger kosten würden.
Man muss sich immer vorstellen, dass die meisten Piraten Menschen wie du und ich sind. Denen geht es gut. Die stehlen nicht im Laden um die Ecke, aber sie stehlen geistiges Eigentum – weil es so einfach ist. Das ist die digitale Welt.
Ich glaube, dass es in der Umweltpolitik auch gelungen ist, das Denken zu ändern. Es hat nur einige Jahrzehnte gedauert. Ich glaube, es braucht starke Bilder für die wirklichen Schäden, die Piraten anrichten – jenseits der gestohlenen Bücher. Was passiert da in einer Gesellschaft, die das zulässt? Wohin wird sie sich entwickeln? Welchen Wert haben Bücher, Filme, Musik? Kunst? Wie wäre eine Gesellschaft ohne Bücher? Wie wäre ein Leben, in der Schreiben reine Privatsache, Liebhaberei ist, weil sich damit nichts mehr verdienen lässt?
4 I Wie kann man sich schützen? Wie kann man rechtlich vorgehen?
Es ist schwer bis unmöglich, sie zu verfolgen: Domains in Tonga, Server in den USA, die Betreiber wieder in einem anderen Land. Die Spuren sind schwer zu verfolgen. Zudem kommt man an die Grenzen des internationalen Rechts. Und: Die Verfolgung rechnet sich nicht, denn es steht kein wirklicher Streitwert entgegen. Somit sind Piraten, aber auch Nutzer sehr gut geschützt, denn sie bezahlen anonym oder gar nicht. Es gibt Agenturen, die Piraterie bekämpfen. Sie nutzen das „Notice and take down“-Verfahren, um Piraterie zu melden. In England nutzt dieses Verfahren der Verlegerverband, eine gute Sache, wie ich finde. Hier kommt oft die Frage: Warum haben wir das nicht in Deutschland? Es wäre ein einfacher Prozess, der bei vielen Büchern funktionieren würde – allerdings nicht bei Bestsellern. Denn sperrt man einen Link oder Download, sind ruckzuck zwei neue da.
5 I Lohnt sich es für Autoren, ein solches Verfahren anzustoßen?
Meiner Meinung nach ist das kein Thema einzelner Autoren und Verlage, sondern der gesamten Buchbranche. Wenn die höchste Ebene beschließt, hier etwas zu unternehmen, wäre das sehr klug. Eine übergreifende Lösung wie in der Politik mit stetiger Aufklärung, dass es sich um Diebstahl und kein freundschaftliches Sharen handelt.
Wenn sich die Verlage global verbinden würden, um gegen Piraten vorzugehen, könnten sie den Spuk deutlich verringern, da bin ich sicher. Das Spiel funktioniert nur, weil es diese Allianz nicht gibt. Der erste Schritt wäre: Wie die Piraten denken. Und zugleich ein tiefes Verständnis für die Nutzer der Piratenseiten aufbauen. Warum tun die das? Mit diesem Wissen drei Dinge tun: aufklären, strikter bekämpfen, Innovationen entwickeln.
6 I Was können Autoren dann machen?
Nichts. Meiner Meinung nach, sollten die Konzentration auf den ehrlichen Lesern und den guten Inhalten liegen. Beim Kampf gegen die Piraterie kann ich als Einzelkämpfer nur verlieren, verlieren an Geld, Zeit und auch Emotionen. Ich ziehe hier immer gerne ein Fahrertraining als Beispiel heran: Da, wo Du hinschaust, fährst Du hin. Die Perspektive ist das entscheidende. Wenn Du auf die Hindernisse schaust, fährst Du rein. Damit meine ich nicht, dass wir nichts ändern können, sondern vielmehr: Legt die Konzentration auf die positiven Dinge, wie Leser, gute Kommentare… Ein einzelner Autor kann und wird es nicht lösen. So meine Meinung als Autor. Zugleich kläre ich auf, weil mir das Thema am Herzen liegt.
7 I Ist die illegale Verbreitung ein Marketinginstrument?
Nein, das ist Schwachsinn und nichts anderes.
8 I Wer sind die Verlierer? Wer die Gewinner?
Die Gewinner sind die üblichen Verdächtigen. Ich habe mal ausgerechnet, wieviel ein Piratenportal wie lul.to wohl verdienen wird – da werden Centbeträge für illegale E- und Audiobooks bezahlt. Ich kam auf Monatseinnahmen von über 100.000 € bei geringen Ausgaben für einen 2-3-Mann-Betrieb.
Zu den Verlierern zählen die bereits genannten Bestseller-Autoren und ihre Verlage. Auch die akademischen Verlage haben mit den Piraten zu kämpfen.
9 I Gibt es technische Lösungen, die die Situation entschärfen könnten?
Auch hier bin ich absolut der Meinung, dass es nicht die Aufgabe des Autors sein kann, Lösungen zu finden. Wir müssen hier wesentlich höher ansetzen. Eine Gesamtlösung finden. Und hier sage ich ganz provokant: die Menschen müssen von eReadern und eBooks träumen und schwärmen wie vom neuen iPhone. Hiervon sind wir weit entfernt. Das ist aber der Ansatz. Beispiel Netflix: Flatrate plus spannende, selbst produzierte, exklusive Inhalte. Es wurden immer schon Videos/Filme illegal geladen. Aber längst ist es cool, Netflix zu nutzen und dafür zu bezahlen. Die Wahrnehmung ändert sich. In der Buchbranche ist es noch nicht angekommen zu sagen, wir haben tolle Läden, Produkte… Stimmen die Endgeräte und Ökosysteme? Ich bin nicht sicher. Der Preis des einzelnen eBooks spielt eine untergeordnete Rolle, denn die Piraten sind nicht arm. Eine Flatrate für 10 Euro wäre attraktiv, wenn sie mehr bieten würde. Aktuelle Bücher oder eigene Produktionen, die es nur dort gibt. Perfekte Empfehlungen für mich. Ein Lesegerät, das ich nicht mehr aus der Hand legen will, das mich süchtig macht, wie ein gutes Buch oder ein Smartphone. Kurzum: Technik und Inhalte, die verführen.
Weitere Informationen zu Thomas Pyczak finden Sie auf seiner Webseite: strategisches-storytelling.de
- Autor des Monats: Inka Loreen Minden - 1. Juni 2018
- Autorin des Monats: Frida Luise Sommerkorn - 1. Mai 2018
- Der Selfpublisher Verband im Interview: Vera Nentwich. - 11. Dezember 2017
Ich weiß nicht, wie groß mein Schaden ist, aber ich stehe ebenfalls auf diesen Seiten in der Südsee, in trauter Gemeinschaft mit Stephen King, Karl Marx, Helmut Schmidt und anderen bekannten Figuren. Das kann ich als Ehre betrachten, aber dagegen stehen pro Monat – sagen wir – 20 Downloads mal 3 Euro netto, dann sind das 60 Euro und das ist mir die Ehre nicht wert.
Aber der Autor hat schon recht, der Druck muss von oben kommen, der kommt aber nicht, weil es den Verlagen und Portalen ziemlich egal ist, ob ich meine (angenommenen) 60 Euro zusätzlich habe.
Mit zum Thema gehört auch das Rückgaberecht von 14 Tagen. Ich hab’s ausprobiert, habe ein eigenes Buch gekauft, habe den Leseschutz mit ebenfalls kostenloser Software aus dem Netz ausgebremst, habe das eBook an den Shop zurück gegeben (Begründung: Das Buch hat meine Erwartungen nicht erfüllt…). Zeitaufwand 20 Minuten.
Weil nach dem Gesetz ein eBook eine Dienstleistung ist, funktioniert das. Außerdem kann ich mir das mit der Code-Knacken auch sparen, denn innerhalb von 14 Tagen habe ich jedes Buch gelesen. Sogar „Krieg und Frieden“ mit über 1.500 Seiten.
Wenn mir die Schreiberei nicht so viel Spaß machen würde, hätte ich den Kram schon lange in die Ecke gefeuert und mich stattdessen in die Sonne gelegt. Ich denke jetzt mal linksrum – ist es das, was sich die Verlage wünschen? Alle Self-Publisher legen sich in die Sonne und überlassen den Verlagen wieder das Feld der Literatur und die Erträge?
Hm, dies scheint mir eher ein Beitrag zu sein, der auf dem Blog eines Verlags stehen könnte. Tolino media ist eine Plattform für Self Publisher und wenn diese etwas gegen Piraterie unternehmen wollen, müssen sie selbst die Initiative ergreifen.
Der Beitrag nennt zwar einige gute Ansätze, aber einige Punkte stoßen mir doch ziemlich auf, z.B. diese beiden:
Punkt 4: Tja, da sage ich mal „schlecht recherchiert, Herr Kollege“. Natürlich gibt es in Deutschland Dienstleister, die nach dem gleichen Prinzip arbeiten, wie die erwähnten Agenturen.
Punkt 8: 100.000 Euro im Monat? Das dürfte dann wohl im Bereich der Science Fiction liegen. LUL.to ist nun wirklich nicht „Marktführer“. Wie kommen solche Zahlen zustande?
Was mich interessieren würde: Warum wird nicht mehr mit Wasserzeichen gearbeitet?
Die meisten Shops bieten das an. Das Argument, dass dann alle ehrlichen Leser unter Verdacht gestellt werden, kann ich nicht teilen. Ein Wasserzeichen würde doch nur ausgelesen werden, wenn das eBook illegal vertrieben würde. Das ist doch wie mit diesen Sicherheitschips in Kaufhäusern. Fühle ich mich als ehrlicher Käufer davon belästigt? Nein. Höchstens wenn das Ding an der Kasse nicht abgemacht wurde und ich nicht durch die Tür komme.
Grundsätzlich stimme ich Herrn Pyczak zu, dass sich das derzeitige Piraterieproblem nur durch ein branchengemeinsames Vorgehen effektiv bekämpfen lässt. Ein solches branchengemeinsames Vorgehen habe ich persönlich seit dem Jahr 2010 mit mehrfachen Gesprächsversuchen mit verantwortlichen des Branchenverbandes angeregt.
Entgegen dem Wissen von Herrn Pyczak gibt es allerdings auch in Deutschland mehrere Dienstleister, welche für die Selfpublisher und Verlage tätig sind und mittels des „Notice and take down“ Verfahrens gegen die illegale Verbreitung der E-Book Kopien vorgehen.
Bei der Antwort, was die Autoren gegen die Piraterie machen können, möchte ich Herrn Pyczak jedoch widersprechen. Die alleinige Konzentration auf den „ehrlichen Leser“ als Reaktion auf die Piraterie bringt leider nicht viel, wenn der „ehrliche Leser“ ebenfalls in den Piraterieportalen nach den E-Book Dateien sucht und diese einfach herunterladen kann. Auch der „ehrliche Leser“ sucht nach den kostenlosen Alternativen. Was kostenlos zur Verfügung steht, wird auch kostenlos genutzt. Bei dem „kostenlosen herunterladen“ wird leider zu wenig nachgedacht, ob es auch ein „legales herunterladen“ ist. Wie bereits in der genannte Nielsen Studie festgestellt wurde, wären diese „ehrlichen Leser“ ohne Zweifel finanziell in der Lage, die E-Books zu erwerben, tun es jedoch nicht.
Daher ist die Pirateriebekämpfung nach meiner Meinung genau deshalb wichtig, um genau diese Leser auch als zahlende Leser zu behalten. Das zeigt die zitierte Nielsen Studie ebenfalls deutlich auf: Auf die Frage, was die Downloader gemacht hätten, wenn es das E-Book nicht in den illegalen Portalen verfügbar gewesen wäre, haben 33 Prozent angegeben, dass Sie das E-Book dann gekauft hätten. Und genau um diese 33 Prozent geht es bei der Pirateriebekämpfung! Und genau diese 30 Prozent Umsatzverlust durch öffentlich zugängliche illegale Angebote können wir auch bei belletristischen Werken nachweisen.
Was Herr Pyczak nicht beachtet ist die zudem die Tatsache, dass der Anteil der E-Books bei den Verkäufe stark unterschiedlich ist. Bei kleineren Verlagen liegt der Umsatzanteil definitiv höher als die genannten 4,5% im Branchendurchschnitt. Viele Selfpublisher vertreiben ihre Werke auch nur als E-Books. Entsprechend ist der Schaden, welcher durch die Piraterie entsteht auch deutlich höher.
Für vollkommen aus der Luft gegriffen halte ich jedoch die genannten Monatseinkommen des Piraterieportals lul.to. Im Vergleich von öffentlich zugänglichen Zugriffsstatistiken dieses Portals mit anderen E-Book Piraterieportalen kommt lul.to auf nur einen Bruchteil der Anzahl der Besucher.
Das Portal lul.to ist bei den Verlagen und Autoren nur deshalb im außergewöhnlichen Pirateriefokus, weil dort direkt Preise angegeben werden. In den anderen Portalen, welche die herunterladbaren Dateien über Filehoster wie uploaded.net verbreiten, stehen solche Preise nicht. Der Filehoster uploaded.net zahlt z.B. für 1000 Downloads aus Deutschland zwischen 8 und 30 Euro an die Uploader aus. Diese 1.000 kostenlosen (!) Downloads sind schnell erreicht.
Um auf den von Herrn Pyczak genannten Umsatz dieses Portals zu kommen, müssten hier jedoch entsprechend mehrere Millionen E-Book Dateien über dieses Portal jeden Monat verkauft werden. Diese vermeintliche hohe Anzahl illegaler Verkäufe würde sich definitiv auf den legalen Absatz auswirken. Ab dem Moment, wo ein E-Book bei lul.to illegal angeboten würde, müsste sich dies direkte an den legalen Umsätzen erkennen lassen. Unsere Untersuchungen von Verkaufskurven von Selfpublisher Kunden von CounterFights haben jedoch gezeigt, dass die Umsatzverluste erst dann deutlich zu erkennen sind, wenn die E-Book Dateien in den „kostenlos“ zugänglichen Piraterieportalen mittels der Filehoster wie uploaded.net illegal zur Verfügung gestellt werden. Eine Relevanz der illegalen Verbreitung der E-Book Dateien durch das Portal lul.to auf die legalen Verkäufe ist jedoch bisher nicht ersichtlich. Bei den durch die Piraterie erkennbaren Umsatzverlusten bei belletristischen Werken spielt das Portal lul.to nach meiner Erkenntnis keine Rolle.
Andreas Kaspar
CounterFights Anti-Piracy